Boyhood (oder: Ein Apfel im Wandel der Zeit)

Jahr: 2014
Regie: Richard Linklater
Laufzeit: 163 Minuten
Budget: 4 Mio.$
Academy Award (gewonnen/nominiert): Bester Film, Beste Regie, Bester Nebendarsteller, Beste Nebendarstellerin, Bestes Originaldrehbuch, Bester Filmschnitt

Der Inhalt kurz und knapp:

Als Kind hat man es ja nicht immer so einfach. Hausaufgaben erledigen, ungeliebte Hilfsdienste im Haushalt erbringen, seine Geschwister ertragen, und, und, und. Das schreckliche Schicksal der Kindheit muss der junge Mason (Ellar Coltrane) über sich ergehen lassen, wobei ihm der Zuschauer volle 12 Jahre seines Lebens begleiten darf. Da sein Vater Mason Sr. (Ethan Hawke) von seiner Mutter Olivia (Patricia Arquette) getrennt lebt, ändern sich für Mason und seine Schwester Samantha (Lorelei Linklater) die Familienverhältnisse mehrmals. So wächst der eher zurückhaltende und leicht tagträumerische Mason zunächst bei seiner Mutter auf, die ihre beiden Kinder alleinerziehend durchbringt. Doch auch Lebensabschnitte in einer Patchwork-Familie und mit einem kinderlosen Stiefvater folgen, wobei auch stets zahlreiche Umzüge ins Haus stehen. Obendrein schlägt der allgemeine Wahnsinn zu, in Fachkreisen auch Pubertät genannt, was den ersten Kontakt zum fremden Geschlecht anbelangt oder die Sinnsuche nach der eigenen Bestimmung. Am Ende lenkt sich jedoch alles, wie in den meisten Fällen, in geordnete Bahnen und Mason beginnt ein Studium am College. Zu diesem Zeitpunkt sind 12 ereignisreiche Jahre vergangen, wo wir Mason verlassen und er seiner Wege alleine weitergeht.

Die Meinung:

Ein 12 Jahre andauerndes Filmprojekt? Wer sich ein solches Projekt zumutet, braucht schon eine gehörige Portion Idealismus, aber auch Durchhaltewillen. Das so etwas gleich mit 6 Nominierungen bei den Academy Awards honoriert wird, wundert absolut nicht. Gleichzeitig wecken solche Bauchpinseleien auch Erwartungen an den Zuschauer, derer ich mich ebenfalls nicht erwehren konnte. Wie macht sich nun also „Boyhood“, den man mit Fug und Recht einen Experimentalfilm nennen kann?

Der Weg ist das Ziel. Was mich an „Boyhood“ fasziniert ist weniger das fertige Endprodukt, sondern viel mehr die Leistung die hinter der Produktion steckt. Alleine die Idee ein solches Projekt zu entwickeln, das sich über 12 volle Jahre steckt, verlangt einiges an Idealismus und Durchhaltevermögen. Denn bei einem solchen Projekt kamen Probleme auf, mit denen eine konventionelle Produktion wohl eher nicht zu kämpfen hat. Als Beispiel sei hier die Digitalisierung der Filmtechnik genannt, die mitten in den Produktionszeitraum fiel. Es ist aber auch schlicht eine enorme Leistung, den Cast über eine so lange Zeit beisammenzuhalten, zumal eine vertragliche Bindung über so eine lange Zeitspanne nicht möglich ist. Es bedurfte also reichlich Überzeugungskraft und Herzblut diese Filmidee final ins Ziel zu tragen.

Was ist nun also der Reiz an einem solchen Film? Als Zuschauer war es für mich ein wirkliches Erlebnis 12 Jahre Erzählung, aber auch Produktionszeit, in rund 2 ½ Stunden präsentiert zu bekommen. Dabei sind hier gleich 2 Ebenen zu bewundern. Zum einen ist es interessant das komplette Erwachsenwerden des fiktiven Mason realistisch dargestellt zu sehen. Kindheit, Pubertät, Jugend und schließlich das eigenständige Leben. Hier ist alles mit dabei. Doch genauso spannend ist es den Schauspieler Ellar Coltrane zu sehen und dessen Leben im Zeitraffer zu erleben. Ein wenig fühlte ich mich an die „Truman Show“ erinnert und fragte mich, ob dies nicht gar ein wenig voyeuristisch sei… Doch sei es drum. „Boyhood“ bietet hier als eine Art Filmexperiment wirklich beeindruckende Bilder.

Wirklich beeindruckend ist jedoch nicht nur der Wandel den der Cast durchlebt, sondern auch der Wandel von (Pop-)Kultur und Alltagsgegenständen. So reist der Zuschauer durch die 12 Jahre und bekommt vorgeführt, wie sich das Leben in dieser Zeit geändert hat. Wirklich begeistert hat mich der sehr umfangreiche Soundtrack des Films, der sich aus den erfolgreichen Hits der jeweiligen Jahre speist. Das erinnert beinahe an eine Chartshow, nur wesentlich sympathischer als die üblichen TV-Ableger. Auch bekommt der Zuschauer fast museal vorgeführt, wie sich die Technik verändert hat. So spielt der junge Mason zunächst noch mit einem GameBoy Color und der ersten Xbox, ist zum Ende des Films das Smartphone Thema der Konversation. Besonders auffallend ist, dass in jeder Zeitepoche Produkte der Firma Apple zu finden sind… ein Schelm wer hierbei Böses denkt, doch hat auch dieses Element natürlich seinen Reiz.

Was mich an der Geschichte etwas stört, ist vor allem die Anekdotenhaftigkeit, mit welcher sich der Film durch seine Laufzeit hangelt. Es werden immer wieder einzelne Häppchen aus dem Leben von Mason präsentiert, die jedoch sehr isoliert wirken. So besitzen diese einzelnen Episoden nie einen Rückgriff auf zuvor gezeigte. Mich hätte es als Zuschauer durchaus interessiert, was aus den zwischenzeitigen Patchwork-„Geschwistern“ von Mason wurde, nachdem die beiden Familienteile wieder auseinandergehen. Auch ist plötzlich von einer Episoden auf die andere Jim (Masons Stiefvater in spe) aus dem Leben seiner Mutter verschwunden. Natürlich lässt sich erahnen was passierte, aber auch hier blickt der Film immer starr nach vorne und erlaubt sich keine Rückgriffe.

Generell bin ich mir jedoch aber nicht schlüssig, wie ich den eigentlichen Plot am Ende bewerten soll. Ich kann verstehen, dass Linklater eine möglichst lebensnahe und vergleichsweise einfach strukturierte Handlung bevorzugte, um in den 12 Jahren möglichst viel Spielraum zu haben diese an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Doch handelt es sich bei „Boyhood“ ja eben nicht um eine Dokumentation, sondern um eine Fiktion, bei der ich persönlich auch die eine oder andere Anforderung in Sachen Unterhaltung stelle. Und hier bietet der Film tatsächlich wenig und kapriziert sich auf die üblichen Familien- und Pubertätsthemen, die schon bis Ultimo abgehandelt worden sind. Hier bin ich mir wirklich nicht im Klaren, ob dies für den Film zwingend notwendig war oder am Ende doch mehr stört, als denn nützt.

Ein wirkliches Fazit zu ziehen, fällt mir bei „Boyhood“ wirklich schwer. Zum einen hat mir der Film durch seine ungewöhnliche Entstehungsart und der besonderen Produktionsleistung sehr gut gefallen. Es ist ein wirklich spannender Zugriff auf das Thema des Erwachsenwerdens, wobei der „Film“ aufgrund seiner enormen Zeitspanne äußerst realistisch wirkt. Auf der anderen Seite ist die Handlung leider wenig originell und hat mich in manchen Sequenzen auch tatsächlich gelangweilt. Insofern bleibt mich für ein interessantes Filmprojekt, das meine Hochachtung verdient, wahrscheinlich jedoch bei mir eher früher als später im geistigen Nirwana entschwinden wird.

Das Fazit (für Lesefaule):

Beinahe hätte ich das Fazit an dieser Stelle ausfallen lassen, war ich doch drauf an dran zu kapitulieren und „Boyhood“ der Einfachheit halber keine Bewertung zu geben. Da einfach aber jeder kann, habe ich mich dann aber doch gezwungen gesehen ein Fazit zu klöppeln. Was mir die Entscheidung wirklich schwer gemacht hat, ist die starke Diskrepanz zwischen Form und Inhalt von Richard Linklaters Mammutfilm. Die Form hat mich wirklich begeistert zurückgelassen, macht doch der Flug durch die 12 Jahre Lebensgeschichte einfach nur Spaß. Denn dabei sehen wir nicht nur den fiktiven Mason (aber gleichzeitig auch den realen Ellar) in 2 ½ Stunden aufwachsen, sondern erleben auch einen historischen Abriss der US-amerikanischen Gesellschaft. Der Inhalt des Films ist allerdings an vielen Stellen nur sehr anekdotenhaft geschildert und oftmals geradezu trivial – um nicht zu sagen „normal“. Doch vielleicht ist dies für einen solchen Film genau richtig, soll eben realistisch wirken… Ach ich weiß auch nicht! Hier muss sich wohl jeder sein eigenes Bild machen, ich komme hier leider auf keine klare Meinung.

Wertung:

fragezeichen

Okay.. wenn ich mich festlegen müsste dann sähe die Wertung doch so aus.

7-5

Trailer:

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